Künstlerin - Bildhauerin

"Mit dem Seufzer der Sehnsucht hast du mich herbeigerufen. Was wünschest du?"

„Wenn ich wieder klein bin“ war der Titel des praktischen Teils meiner Diplomarbeit und ich habe ihn mir von Janusz Korczak entliehen, der sein Leben den Kindern widmete und die gleichnamige Erzählung verfasste (poln. Erstausgabe Kiedy znów będę mały 1925).

Korczak erinnert sich in dieser Erzählung an die Träume, die er als kleiner Junge vom Erwachsensein hatte. Wie farbenfroh und voller Möglichkeiten die Zukunft ihm damals erschien. Er malte sich alles aufs Haar aus. Was aber ist ihm davon als Erwachsener geblieben? Enttäuscht und etwas traurig blickt er nun auf die Träume von damals zurück, die Eltern um die sie sich rankten, hat er nicht mehr. Nun liegt er in seinem Bett und findet keinen Schlaf.  Da plötzlich erscheint ein kleiner Zwerg auf seinem Kopfkissen und leuchtet ihm mit einer Funzel ins Gesicht: "Mit dem Seufzer der Sehnsucht hast du mich herbeigerufen. Was wünschest du?" Korzcak überlegt angestrengt was er sich wünschen sollte, und als sich der Zwerg schon wieder zum Gehen wendet platzt es aus ihm heraus: "Ich möchte wieder klein sein."

So geschieht es, Korzcak erwacht als ein Schuljunge und hat wieder eine Mutter die ihn weckt. Er durchläuft von hier an eine Transformation mit der Gefühlswelt und Wahrnehmung eines Kindes und dem Wissen eines gelebten Lebens, zu einem Mischwesen in Kinderhaut. »Wenn ich wieder ein Kind wäre, würde ich gern alles im Gedächtnis behalten, alles wissen und können, was ich jetzt weiß und kann. Und, dass niemand merkt, dass ich schon groß war.« schreibt Korczak und sein Wunsch sollte in Erfüllung gehen. Nun ist er wieder ein Schuljunge und auf dem Heimweg seines ersten Schultags, führt er folgendes Gespräch mit seinem Schulkameraden:

„Möchtest du ein Bär sein?“ - „Und wie!“ - „Aber Bären sind tolpatschig.“ - „Sie sind überhaupt nicht tolpatschig; das scheint nur so. Aber ich möchte lieber ein Adler sein. Ich würde mich auf den höchsten Felsgipfel hinaufschwingen, höher als die Wolken. Einsam und stolz stände ich da.“ Es ist besser, Flügel zu haben, als mit dem Flugzeug zu fliegen. Immer das Benzin, und das Flugzeug kann auch einmal kaputt gehen, man braucht Flugzeughallen, und man kann nicht überall landen; man muß es reinigen, muß einen langen Anlauf nehmen. Die Flügel dagegen kann man einziehen, wenn man sie nicht mehr braucht und fertig. Wenn die Menschen Flügel hätten, müßte die Kleidung anders sein. Die Bluse hätte hinten zwei Öffnungen, und man würde die Flügel entweder außen oder unter der Jacke tragen.“


(Janusz Korczak: Wenn ich wieder klein bin. Vandenhoeck & Ruprecht (1973), S.43.)

 

 

Was wäre denn nun wenn ich wieder klein bin? Eine sonderbare Frage. Ist es nicht so, dass wir uns wie der kleine Korzcak als Kind in allen Farben ausgemalt haben, wie es sein wird groß zu sein, dass wir die Tage zum nächsten Geburtstag zählten, nicht nur der Geschenke wegen, sondern in der insgeheimen Hoffnung dann ein Stück mehr der Ohnmacht zu entkommen? Dagegen die Leichtigkeit der Glieder, der Duft von frisch gefallenem Regen, die Freude über den Schnee oder über ein schön entfaltetes Spiel, werden doch erst als Erwachsener als positive Schlüsselreize der Kindheit erkannt. Man nimmt diese Ungetrübtheiten als Kind als gegeben hin und kann sich nicht vorstellen sie irgendwann einzubüßen. All die Vorzüge, welche man als Kind genossen hat, erbleichen angesichts des Wunsches dem Kleinsein zu entwachsen.

Es ist eine gegensätzliche Sehnsucht, welche die Kinderwelt mit der Erwachsenenwelt verbindet, dieselbe Sehnsucht, die den Zwerg in Korczaks Erzählung anrief, und der die Möglichkeit durch Zauberhand schuf, beides zu sein, Kind und Erwachsener zugleich. Der Zauber des Zwergs ist ähnlich dem Zauber den die Kunst vollbringen kann, wenn sie zu einem autonomen Gegenüber des Künstlers wird. Dann fühlt es sich vielleicht zerissen an, manchmal auch bauschig aber eben nicht ohnmächtig.

Wie die Jugend steht man als Künstler zwischen den Welten, man sieht gestochen scharf wie ein Adler, in überdrehten Farben und es überkommt einen dann manchmal diese Verzweiflung, weil es nicht so recht zusammen will, das kindlich Erträumte und das Leben.

So ist die Kindheit und Jugend eine Zeit, die wahrhaftig viel Brennstoff für die künstlerische Auseinandersetzungen bietet, und aus der auch meine Arbeit Energie schöpft. Da wir alle einmal ein Kind waren, ist die künstlerische Beschäftigung mit dem Thema Kindheit gleichzeitig persönlich wie auch makroskopisch universell. Mir erschliesst sich noch lange nicht die ganze Bandbreite der Thematik, da Kindheit als primäre Strukturgebung, als Prägungsphase und Vorbereitung auf das Leben eigentlich alle menschlichen Grundthemen in sich birgt. Oft begegnet man der Angst und dem Unaushaltbarem, der Ohnmacht und nicht zuletzt auch dem Tod.