Künstlerin - Bildhauerin

Kunst am Bau Entwurf für den Neubau Zentrum für Quantum Engineering (ZQE) München - Garching, 2023

Added on by jenny rempel.

Der Kunst am Bau Wettbewerb “ZQE München” war ein Einladungswettbewerb mit einer Beteiligung von acht Künstlern.

AT: “Zwischen Himmel und Erde - oder - Die Lücke zwischen den Fingerspitzen”


Energiefelder erzeugen, ihr Verhalten zur Materie untersuchen und künstliche Modelluniversen erschaffen, sind Gegenstände quantenphysikalischer Forschung. Man will das Leben mit seinen kleinsten Bestandteilen verstehen und nachbilden und zugleich deren tiefgreifende Zusammenhänge erschließen.

Mit dem Bau des ZQE sollen verschiedene Quantenforschungsteilgebiete an einem Ort zusammenwirken, um deren Forschungsergebnisse in die Praxis zu überführen. Zu Recht macht man sich schon jetzt Gedanken, welche Auswirkung die Anwendung der Quantentechnologie auf die Menschheit haben wird. Man erwartet in diesem Kontext einen umfassenden Umbau der Welt mit gravierenden Folgen. In welcher Dimension und Komplexität das stattfinden wird, kann man bisher nur erahnen. Kurz: die Geburtsstunde einer alles revolutionierenden, alles bisher Dagewesene in den Schatten stellenden Technik rückt nahe.

Nun erzeugt der gebannt fokussierte Blick auf das ganz Große ebenso wie der auf das ganz Kleine einen Tunnelblick, bei dem tiefgreifende Fragen allzu leicht aus dem Fokus geraten. Woher kommen wir und wo gehen wir hin? Wessen Geistes Kind sind wir und wem möchten wir mit unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen dienen? Für den heutigen Umbruch kann die Kunst positive Impulse liefern und behilflich sein, sich selbst als Mensch einzuordnen und zu reflektieren, da sie den Betrachter in ihre Werke mit einbezieht.

Bei dem Thema ‚Der Mensch als Schöpfer einer neuen Welt‘ kam mir das Bild der Erweckung Adams von Michelangelo in den Sinn – der göttliche Fingerzeig. Dabei betont Michelangelos Darstellung vor allem eines: Die Lücke zwischen Gottes Finger und dem Adams. Beide strecken sich einander entgegen, berühren sich allerdings nicht. Bezogen auf unser Thema heißt das: Was wir auch tun, ob wir weiter ins All oder in die Mikrowelt zoomen, diese Lücke zwischen Gottes Hand und Adams (des Menschen) Fingerspitzen bleibt bestehen. Und doch: Liebe ist die Kraft, die keiner körperlichen Berührung bedarf, um zu berühren, die in dieser Lücke spielend eine saltatorische Impulsübertragung stattfinden lässt. Sie weist uns die Richtung bei der Überwindung der Lücke zwischen Gott und Mensch, führt gewissermaßen vom geistigen Prinzip ins Materielle, vom Unsichtbaren zum Sichtbaren… Ein Quantensprung?

Das Thema der Erwartung einer Geburtsstunde, brachte mich zu einer weiteren wichtigen Quelle der hier vorgestellten Kunst: der Kathedrale von Chartres. Ihr Bau wirkt wie ein mächtiger Kommunikationsraum oder Resonanzkörper der Kräfte zwischen Himmel und Erde. Errichtet im 12. Jahrhundert ist die Kathedrale der schwangeren Jungfrau geweiht, der Göttin der Morgenröte und verkörpert eine architektonische Verehrung des Lichts. In den Boden ihres Kirchenschiffs ist ein Labyrinth eingelassen, dessen Pfadmuster das Labyrinth von Kreta zugrunde liegt. Wie die Sage berichtet, wurde einst das kretische Labyrinth als ein Gefängnis entworfen, aus dem keiner je wieder herausfinden könnte – nur mit einem Trick: Man musste dem Faden der Ariadne folgen…

Beide historischen Beispiele symbolisieren einen Schöpfungsmoment im Dienste der Menschheit und zeigen das Streben nach einer neuen besseren Welt – ein Anliegen, das mir aktuell wichtiger denn je erscheint. Die hier vorgestellten vier Kunstwerke für das ZQE verweisen auf die Rolle des Menschseins in Rückverbindung mit der Natur und spielen mit der Lücke zwischen den Fingerspitzen, dem Unsichtbaren, Nichtfassbaren. Sie geben geistige und sinnliche Impulse und ermöglichen zugleich, aktiv die Gartenbereiche zu nutzen und sich dabei zu erholen.


Beschreibung der Kunstwerke für das ZQE:

„Auf zu neuen Welten“: Ein kleiner Raumfahrer schwebt im Innenhof des ZQE, ein Kind im Astronautenanzug – unschuldig, neugierig, suchend. Die amorphe Pflasterung und die Miniaturbäume des Hofes erinnern an den Planeten des Kleinen Prinzen, Saint-Exupéry’s allbekannte Geschichte, dessen Kernaussage ist, sich nicht von der „vernünftigen“ Welt der Erwachsenen täuschen zu lassen. Wie wir wissen, steht die Rose, die der kleine Prinz auf seinem Planeten hütet und liebt, für vollkommene Schönheit und die Kraft der Liebe. Auch für Michelangelo war die Schönheit die alles durchdringende und beflügelnde Kraft, die Grunderfahrung des Lebens, die uns die verpflichtende Verantwortung der Liebe lehrt. Dieses schwebende Astronautenkind zwischen Himmel und Erde beschreibt eben die Sehnsucht, aus den Abgründen der Erwachsenenwelt heraus zu einer neuen Welt zu finden, wo neben dem Schönen auch die wahrhaftige Liebe und Freundschaft zur Natur existiert.

2. „Der Ariadnefaden“: Er ist im nördlichen Gartenbereich in Form des kretischen Labyrinths gelegt. Rotleuchtend folgt er Richtung Osten den verschlungenen Pfaden und steht symbolisch für den Ausweg aus einer rettungslos erscheinenden Situation. Trotz seiner uralten Symbolik und kosmischen Rückverbindung wirkt das Labyrinth in seiner Stringenz modern. Zugleich erinnert sein Muster an die sich ausbreitenden Wellen auf einer Wasseroberfläche. Kreisförmige Wellen scheinen von innen nach außen und von außen nach innen zu gleiten, Wellentäler und -höhen lassen Anziehung und Abstoßung vom Zentrum vermuten. Dieses Bild fragt danach: Wo verorten wir uns auf unserer ganz persönlichen Lebensamplitude? Zwischen Himmel und Erde brauchen wir diese Polarität von Anziehung und Abstoßung, Plus und Minus, Minimum und Maximum, um das besondere Energiefeld, welches wir irdisches Leben nennen, zu erzeugen. Das Labyrinth ermöglicht dem Nutzer sich selbst dem roten Faden folgend hineinzubegeben, z.B. mit einer Frage im Sinn, oder einfach nur am Rande das mächtige Bild von außen auf sich wirken lassen.

3. „Himmel oder Hölle“: Die Arbeit bezieht sich formal auf das Doppelspalt-Experiment und spielt im Titel auf ein altes Kinderspiel an. Der Engpass zwischen den beiden Gartenböschungen wird durch einen überdimensionalen Doppelspalt aus Metall verstellt, hinter dem acht ebenso große Metallrohre, wie Reagenzgläser in einer Halterung eingefasst stehen, die abwechselnd schwarz und weiß pulverbeschichtet sind. Formal greifen sie die architektonischen Blockstreifen der Fassade auf. Deren Dimension und die theoretische Möglichkeit, selbst den Spalt durchschreiten zu können, hat den Effekt, dass wir uns in der Vorstellung mit den Teilchen der Mikrowelt identifizieren. Besonders der Perspektivwechsel beim Umherwandern im Garten ist interessant, denn mal erscheint ein Spalt schwarz und ein andermal mal weiß. Aus einer anderen Sicht erscheinen beide Spalten weiß oder beide schwarz. Ein Spiel mit dem Blick -und Einfallswinkel der eigenen Ausrichtung und dem, was hinter dem Sichtbaren liegt. Vom Feld aus sehen wir ungehindert den „Raum dahinter“: Die schwarzen und weißen Stelen führen uns das polare Weltbild vor Augen. Diejenigen, die vom Haupteingang aus das Gelände betreten, haben ein weiteres interessantes optisches Erlebnis, denn durch die eigene Standpunktänderung scheint sich eine Bewegung hinter dem Spalt abzuspielen.

4. „Die schwebende Jungfrau“: Ein transluzent weißer Dodekaeder schwebt im Zentrum von strahlenförmig angeordneten, ebenfalls zu schweben scheinenden Sonnenbarken. Der„Zwölfflächner“ oder auch „Antiprisma“ genannte Körper besteht aus 12 regelmäßigen, pentagonischen Flächen und gilt als geheimnisvollster der fünf platonischen Körper. Alles an ihm ist in höchstem Maße symmetrisch. Die geometrische Figur erstrahlt in ihrer perfekten, harmonischen Schönheit. Mit seinen 31 Achsen und 15 Symmetrieebenen fasziniert er die Menschheit seit über 4000 Jahren. Plato wies die ersten vier der nach ihm benannten geometrischen Körper den Elementen zu – den Dodekaeder aber dem Kosmos. Der Fakt, dass sich aus regelmäßigen Sechsecken kein Körper mehr bilden lässt, macht den pentagonischen Körper zu einem Sinnbild von materieller Manifestation. Die sechs kreisförmig angeordneten Sonnenbarken laden dazu ein, sich auf ihnen niederzulassen, um die Sonne zu genießen. Da die Strahlen zentral befestigt werden und man die Aufhängung aus der Seitensicht nicht sieht, wirkt der Liegende levitanisiert, wie bei dem bekannten Zaubertrick „die schwebende Jungfrau“. Die Sitzflächen der Strahlen sind nach den sechs Grundfarben aus Goethes Farbkreis gefärbt, der den Farben Gemütszustände des Menschen zuordnete. Die eigene Erkenntnis ist gefordert, wie Goethe die analytische Naturwissenschaft kritisiert. Er wollte das Gesehene nicht trennen von dem, der sieht, denn immer ist der Sehende Teil des Gesehenen. Auch wenn die moderne Physik Goethes Erkenntnissen über die Farben widerspricht, bleibt doch seine Integration des sehenden Menschen ein sehr wichtiger Punkt, hochaktuell auch bezogen auf das Problem der Beobachtung der Mikrowelt. Das wahrnehmende Subjekt ist Teilhaber, ja gleichsam unentbehrlicher Co-Produzent des Wahrgenommenen – das ist eine Funktion des Betrachters.

Die hier vorgestellten Kunstwerke greifen weit in die Kulturgeschichte zurück und bedienen sich eindrucksvoller Bilder – Kodexe der Menschlichkeit von hoher Präsenz und Aktualität. Eine Einladung, der Parabel bis an den Tiefpunkt zu folgen, um seine persönliche Essenz für das Hier und Jetzt zutage zu fördern. Gleichzeitig schaffen die Installationen Angebote, den Garten zur Entspannung und inneren Einkehr zu nutzen, indem sie gezielt geistige und sinnliche Impulse setzen, um in den Arbeitspausen die Natur und das Menschsein zu genießen.